Autor: Martha Scheidt, Assistant Consultant
13.05.2020
Im Home Office sind noch Plätze frei? Neue Talente werden gebraucht, auch – oder gerade besonders – in Krisenzeiten. Aber wie diese rekrutieren, bei laufendem Kontaktverbot? Anstelle des herkömmlichen Einstellungsinterviews vor Ort müssen nun digitale Lösungen her, um die zukünftigen Mitarbeitenden kennen zulernen. Auch wir bei SOICON haben uns dieser Herausforderung gestellt und den Wechsel zum Digital Recruiting gewagt.
Unsere Eindrücke, Tipps und Tricks und ob diese Art des Bewerber-Managements auch langfristig für uns in Frage kommt, wollen wir hier mit euch teilen.
Bevor es losgeht: Vorabcheck
Zuerst fällt auf – und das ist sicherlich keine Überraschung – Vorbereitung ist das A und O! Wer den Einstellungsprozess von einem klassisch-persönlichen Interview ins Digitale verlegt, der sollt sich darauf einstellen, dass dies nicht eins zu eins umzusetzen ist. Ein wichtiger Faktor bei der Vorbereitung auf ein digitales Bewerbungsgespräch ist die Zeitplanung. Generell sollte für das Bearbeiten etwaigeren Aufgaben und Assessment Center mehr Zeit eingeplant werden als für die gleichen Aufgaben in einem analogen Gespräch. Zudem müssen eben diese Aufgaben genau definiert sein. Der Interviewer sollte sich dazu fragen: ”Wie sieht die konkrete Aufgabenstellung aus? Was erwarte ich von dem Bewerber? Und was wären die optimalen Antworten auf meine Fragen?”. Doch es reicht bei weitem nicht, selbst zu wissen, wie die Aufgaben und Fragen gemeint sind. Wichtig ist, wie der Bewerber die Aufgaben versteht. Um Missverständnisse und Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen, sollten die Aufgabenstellungen und besonders die Instruktionen daher so exakt wie möglich formuliert sein. Generell sollte bedacht werden, dass es häufig auch für den Bewerber eine ungewöhnliche Art des Einstellungsinterviews ist. Je klarere die Struktur des Interviews, Erwartungen, Aufgaben, ect. definiert und kommuniziert werden, desto reibungsloser wird das Interview für beide Parteien ablaufen. Ebenfalls vorher bedacht werden müssen allgemeine Störfaktoren, wie eine schlechte Internetverbindung oder Kommunikationsschwierigkeiten, denn so gerät niemand in Zeitstress. Es ist ratsam, einen Testlauf vor dem ersten Interview durchzuführen, beispielsweise mit einem der eigenen Mitarbeitenden. So kann die Bewerberperspektive simuliert und besser verstanden werden. Zudem muss ein Bewerber vorab ausreichend darüber informiert werden, was für (technische) Voraussetzungen er für die Durchführung des Interviews erfüllen muss. Es ist auch heutzutage noch nicht selbstverständlich, dass jeder einen Laptop mit Kamera und Mikrofon zuhause hat. Deshalb sollte dies vor dem Interview abgesprochen werden. Ist man gut vorbereitet und alle technischen Maßnahmen sind erfüllt, dann steht einem erfolgreichen Interview nichts im Weg.
Das Gespräch: Es braucht einen Online-Knigge
Das Online-Einstellungsgespräch kann starten und birgt einige Vorteile – wenn ein paar Verhaltensregeln beachtet werden! Was bei einem persönlichen Einstellungsgespräch oft nicht auffällt, kann online sehr störend sein. Plötzlich auftretende, laute Geräusche, wie durch das Rascheln von Papier oder dem Abstellen der Kaffeetasse direkt neben dem Laptop, haben schon einige aus dem Stuhl schrecken lassen. Diese unerwarteten Töne sind für alle unangenehmen und lenken ab. Deshalb gilt der Online-Knigge: Das Mikrofon sollte von allen stumm geschaltet werden, die nicht reden. Auch sollte bedacht werden, dass Gesagtes manchmal etwas zeitversetzt ankommt. Der Gesprächspartner wird dankbar sein, wenn deshalb ein paar Sekunden extra gewartet wird. So fällt sich auch niemand gegenseitig ins Wort. Bei einer Bildschirmteilung sollten alle relevanten Tabs bereits geöffnet sein und auf die Ansicht des eigenen Videochats geachtet werden, sonst kann es passieren, dass der Bewerber sich beispielsweise selbst sieht, was durchaus verwirrend sein kann. Unbedingt beachten: Dokumente, die ein Bewerber nicht sehen sollte, unter allen Umständen vorher schließen. Das gilt sowohl für vertrauliche Dokumente, als auch für die Strandfotos aus dem letzten Urlaub.
Die Vorteile
Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Onlineinterview sind gegeben, nun also zu den oben erwähnten Vorteilen. Setzt man ein Interview per Webcam zum Beispiel anstelle eines Telefoninterviews ein, so wird man feststellen, dass von vornherein besser eingeschätzt werden kann, ob der Bewerber zum Unternehmen passt oder nicht. Die Mimik eines Menschen gibt viel Aufschluss über seine Person und Reaktionen auf gestellte Fragen und Aufgaben lassen sich auf diese Weise besser interpretieren, als über das Telefon. So wird einem zwar die Überraschung vor einem ersten persönlichen Treffen genommen, dafür sind beide Parteien bestens vorbereitet, da sie sich bereits ein Bild vom Gegenüber machen konnten. Dies unterstützt eine effektive Vorauswahl und spart so Ressourcen im eigenen Unternehmen. Die Form des Digital Recruiting bietet Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine zeitliche Flexibilität und Ortsunabhängigkeit. So werden nicht nur die Anreisekosten für den Bewerber gespart, sondern es ermöglicht auch dem Arbeitgeber in jeder Lage (wie zum Beispiel zu Zeiten einer Pandemie) den Recruiting-Prozess durchzuführen und den persönlichen Kontakt zu potenziellen Mitarbeitenden herzustellen. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Vorteil, ist das Auftreten des Unternehmens. Ein digitaler – oder zumindest teilweise digitaler – Bewerbungsprozess signalisiert, dass es sich um einen modernen Arbeitgeber handelt. Die Digitalisierung schreitet in der Wirtschaft mit großen Schritten voran. Es schadet deshalb sicher nicht, nach außen zu präsentieren, dass der gebotene Arbeitsplatz anpassungsfähig ist und auf moderne Konzepte setzt. Simpel: Wer möchte nicht modern sein?
Wie hält man es nun mit dem Digital Recruiting?
Digital Recruiting birgt Chancen. Stellt sich abschließend nur die Frage: Sollte man zukünftig ausschließlich auf diese Methode setzen, oder kommt Online-Recruiting als Dauerzustand nicht in Frage? Digitale Recruiting-Prozesse können als einzige Form der Mitarbeitergewinnung durchaus funktionieren. Die Persönlichkeit des Bewerbers kann beobachtet werden und Know-How und Unternehmens-Fit geprüft werden. Allerdings kann man wohl kaum abstreiten, dass Digital-Recruiting auch Grenzen hat. Die aktuellen Folgen einer Dauer-Home-Office-Beschäftigung zeigen, dass dies eben doch nicht das gleiche ist, wie in Person. Deshalb ist im Fall der Einstellung nach Digital– Recruiting die Probezeit besonders wichtig. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sollten diese Zeit nutzen, um sich kennen zulernen und das gegenseitige Zukunftspotenzial abzuwägen.
Wem das Einstellen nur auf Basis eines Online-Interviews zu heikel ist, kann durch dieses beispielsweise den Teil des Telefoninterviews ersetzen. So bekommt man eine genauere Einschätzung, mit wem man es zu tun hat und kann daraufhin präziser selektieren, wer zum Unternehmen passt und zu einem persönlichen Interview eingeladen wird und wer nicht.
Wir von SOICON stellen uns jeden Tag die Frage, welche Chancen in der Digitalisierung liegen. Die aktuelle Lage zwingt auch uns dazu, Prozesse anzupassen. Wir haben dabei schnell festgestellt, dass sich diese Anpassung sehr gut in unseren geregelten Arbeitsablauf eingliedern lässt. Daher ist Digital Recruiting ein Modell, an dem wir wohl auch zukünftig weiter festhalten werden.